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Karen Bößer und Melanie Maar im Gespräch mit Christian Watty



©Bößer & Szörenyi


Auszüge aus einem Interview mit Karen Bößer und Melanie Maar zu der gemeinsamen Tanzrecherche #23 ‘fremdbeWEGt’ des Kultursekreteriats NRW in 2018.


Das Recherchethema basiert auf dem Begriff und dem Phänomen, ‘Fremd Bewegt’ zu sein. Ein Zustand, der sich in eigenwilligen, unwillkürlichen Bewegungsmustern, wie sie etwa die Parkinson'sche Krankheit oder diverse spastische Körperlichkeiten hervorbringen, der sich aber auch in außergewöhnlichen Zuständen wie Ekstase oder Trance wiederfindet.


Christian: (...) Was passiert da mit jemandem, der von aussen mit solchen Phänomenen konfrontiert wird? Kann man das beschreiben? Was macht das mit mir - mit meinem Kopf, mit meinem Körper - und in Beziehung und Kommunikation mit meinem fremden Gegenüber? Gibt es da unterschiedliche Qualitäten oder Reaktionen wie Schock, Staunen, Ablehnung oder Widerstand? Haben Sie das analysiert und was haben Sie da festgestellt?

Kann man irgendwie den Umgang mit Unvertrautem trainieren?


Melanie: Ich möchte es anhand von zwei Beispielen beleuchten.

Zum einen gibt es den freiwilligen Zustand des ‘bewegt werdens’, etwa in einer freiwillig eingeleiteten Trance, oder Ekstase. Zum anderen gibt es den unfreiwillig gelebten Zustand des ‘bewegt werdens’ etwa bei einem Menschen, der sich mit Parkinson Symptomatik bewegt.

In beiden Fällen kann ich eine Abspaltung von verschiedenen Seinszuständen erkennen oder erleben.

Ich erkenne den Geist, den Verstand des Symptoms oder der Trance unabhängig von der Bewegungspersönlichkeit des Menschen, der diese erfährt. Ich kann diese synchronen, 

gleichwertigen Intelligenzen in mir selbst während ritueller oder performativer Kontexte erleben.

Unser Wille, unsere Gedanken sind in diesen Momenten nicht mehr die Herrscher unseres Tuns und Erlebens. Unser Körper ist nicht bloß eine Befehle ausführende Maschine. Der gesamte Körper-Geist ist belebt, spürt, bringt Bedeutung hervor.

Ein erwünschter wie gefürchteter Zustand des ‘ganz seins’. Ein bestimmter Grad von Kontrollverlust ist Voraussetzung. 

Wenn es möglich ist, in solchen Zuständen mit der Kontrolle und dem Los Lassen zu spielen, ist das Selbst, welches mit den unfreiwilligen, körperlichen Zuständen, etwa der Parkinsonschen Krankheit lebt, eher in einen Kampfsport verwickelt, wie mein Vater über seine körperlichen Zustände zu sagen pflegte.


Die Freiwilligkeit oder Unfreiwilligkeit ist ausschlaggebend für das subjektive Erleben der Zustände als ‘bedeutungsvoll’, ‘ganzheitlich’, ‘spirituell’, ‘interessant’, oder aber als ‘belastend’, ‘einschränkend’, ‘dominierend’ und ‘schmerzhaft’. Empfindungen werden oft dem einen oder anderen Zustand zugeordnet, was ein Beobachter meist unmittelbar spürt.

Deshalb erlaube ich mir als Künstler im Umgang mit den unfreiwillig Erlebten Phänomenen, tief in die nicht-medizinische, nicht-heilungsorientierte Ebene einzutauchen. Das ist eine Ebene voll von Ambiguität, Kuriosität und Komplexität. Sie bezieht die individuelle Wesenheit eines Menschen in Bewegung ein. Anstatt, einen ‘Patienten’, ein ‘Symptom’, einen ‘Besessenen’ oder einen ‘Performer’ zu isolieren, lerne ich mehr über die Beziehung zwischen Persönlichkeit, Wesenheit und Seele in Bewegung.


Karen: Ich glaube, das ist eine sehr persönliche Angelegenheit und hat etwas mit dem Bezug zur jeweiligen Situation, zum jeweiligen Menschen und seinem eigenem Selbstvertrauen zu tun. 

Erlebe ich in solch einem Moment eine emphatische Verbindung, ist sie der verbindende Aspekt zum Unvertrauten und die Empathie kann die menschliche Absonderheit überbrücken. 

Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob man dem Unvertrauten „situativ“, d.h. in Angst oder Neugierde begegnet. Beides hängt wohl auch von dem eigenen Körpergefühl ab, und davon, ob man in sich selbst verortet ist und ob das erzeugte Unvertraute aus einer instinktiven oder vernunftgesteuerten Haltung entsteht.

In dem Zusammenhang fällt mir das Beispiel der Massenbewegung ein: eine dritte Kraft, die eine eigene Dynamik entwickelt und mitreißt. Sie kann entweder eine kontrollierte oder unkontrollierte Kraft sein, wie sie z.B. bei Sufi Ritualen, Hysterie, Ekstase, Voodoo aber auch bei Wirbelstürmen erlebt wird.

Die Kraft kann als fremd wahrgenommen werden und Angst auslösen, oder sie ist nicht fremd und löst trotzdem Angst aus oder halt auch nicht. Entscheidend dafür sind die unterschiedlichen Weltanschauungen und gesellschaftlichen Kontexte.


Persönlich kann ich von einem Erlebnis aus der Recherchezeit berichten.

Mich hat das Teilnehmen an einem Voodooritual, dem ich während unsere Recherchezeit auf dem Afrikafestival in Düsseldorf begegnete, sehr bewegt. Dort wurde von einem Tänzer aus Ghana ein Übertreten in ein anderes Wesen oder ein „Erfasstsein“ von einem anderen Wesen dargestellt. Es war offensichtlich, dass alle Beteiligten den sozialen Kontext zu diesem Ritual verstanden und mitfeierten. 

Ich habe das Ganze eher beobachtet als mitgemacht und holte meine Kamera heraus, um Fotos und Videos für unsere Recherche zu machen. Dann gab es einen kurzen Moment, in dem der „Besessene" sich auf mich zu bewegte, woraufhin ich mich sofort instinktiv abwendete. Ich wollte weder in sein energetisches Feld kommen noch in ein Ritual von einem „Geist“, den ich in seinem religiösen Kontext nicht kannte, einbezogen werden noch wollte ich von einem damit verbundenen Zustand erfasst werden.


Meine Angst vor der Partizipation wurzelte aus dem „nicht begegnen Wollen“ von fremden Zuständen und Welten, sowie in der Vermeidung eines vermuteten Kontrollverlusts. Ich konnte nicht abschätzen, inwieweit meine Persönlichkeit sich mit den dann erlebten Gefühlszuständen, aus einem fremden Glaubenskonzept und seinen Weltvorstellungen, arrangieren müsste, bzw. wie sehr dies meine Lebensrealität in Frage stellen würde. Es war sehr inspirierend, zu erleben wie die anderen Beteiligten sich in dem gleichen Kontext wohl fühlten und mühelos zwischen den Ebenen wechselten, d.h. sich zwar mitreißen liessen aber dabei genauso alltägliche Handlungen wie „Haare neu festbinden“ vollführten. Im Nachhinein ist festzuhalten, dass meine Fotos und Videoaufzeichnungen nicht funktioniert haben und dass das Material bis auf ein paar wenige Fotos untauglich war. Ich war also äußerlich mit einer sehr praktischen Handlung scheinbar beschäftigt, aber aufgrund meiner emotionalen Irritation nicht in der Lage, 'das Tun des Tänzers auf dem Bild/Video festzuhalten` inhaltlich auszuführen.

Nachdem wir uns mehrere Voodoo Videoaufnahmen in den Proben angeschaut haben, könnte ich mir im Nachhinein vorstellen, dass, vorausgesetzt ich wäre in so eine Gemeinschaft integriert und als Teil der Gruppe angenommen, und weiter, mir die Formen und Auswirkungen eines Zustandes des „Fremdbewegtseins“ vertraut wären, ich auch gelassener wäre, den wechselnden Zustand von normal oder in ein anderes Wesen bewegt zu sein, mitzuerleben oder sogar an so einem Ritual als Praktizierende teilzuhaben. 


Was ist an diesem Thema spannend aus Ihrer Sicht als Choreographen/Performer?

Melanie: Performance als menschliches Bedürfnis zieht mich an. Das Fehlen von strikten Trennungen zwischen Ritual, Therapie, Kommunalem Sein und Performance. Das Erkunden dieser rhyzomatischen Beziehungen und der Performance Praxis selbst als zeitgenössischer, säkularer, spiritueller Prozess.

Das freiwillige und unfreiwillige Bewegtwerden als Erkennungsstudie der eigenen Grenzen, Kreativität und Bedürfnisse.

Die erotische Exstase als Zustand eines intensiv belebten, improvisierenden Körpers.

Das kontinuierliche Hinterfragen und Überschreiten von gesellschaftlichen, ästhtischen und medizinischen Wertvorstellungen und Normen über menschliche (tierische) Bewegungsmuster und über den ‘Bewegten’ selbst.


Karen: Unterschiedliche Bewegungskonzepte und ihre damit verbundende Rezeption: 

z. B.: Das Bewegungskonzept eines Körpers, der sich im Releasemodus befindet und sich nach einer Gravitationsidee bewegt, erlebt man anders als das Bewegungskonzept aus dem Continuum Movement nach Emily Conrad, bei dem die Körperflüssigkeiten den Bewegungsmodus vorgeben, oder aber spastische Bewegungsqualitäten, die durch eine große Entspannung im Muskeltonus zu einer unglaublichen Beweglichkeit in den Gelenken führen.

All diese körperlichen Ausdrücke haben unterschiedliche Bewegungsqualitäten, die sich dann auch als ein bestimmtes atmosphärisches Setting im Raum ausdrücken und bewusst oder unbewusst beim Betrachter einprägen. Wichtig ist mir, einen Bezug zwischen „Performer“ und Betrachter zu etablieren und ein Teilhaben oder besser eine Beziehung zum Geschehen durch Empathie zu evozieren.

Das Einsetzen unterschiedlicher Bewegungstypen ist, in dem Sinne, ein wichtiger Aspekt in meiner Arbeit, da sie die unterschiedlichen Ausdrücke für menschliche und organische Qualitäten auf abstrakte Weise kommuniziert und mir die Art, wie etwas erscheint, primär wichtig ist.

Darüber hinaus ist ein weiter Aspekt von großem Interesse für mich, nämlich die Energiegewinnung oder Ressource für Bewegungen und somit auch die Darstellung von Ekstase, Entgrenzungen und Überschreitungen des Körpers zu erproben und dies mit seinen transmedialen Verbindungen in einen ästhetischen Ausdruck zu bringen. Die Darstellung des Körpers soll nicht nur durch eine rein physische Bewegung, sonder auch aus einem Gefühl, einem Bewusstsein aus seinem physischen, geistigen und emotionalen Körper heraus kommunizieren.






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